Von Björn Othlinghaus

Lüdenscheid – Star-Organist Felix Hell war schon oft in der Christuskirche zu Gast und begleitete den Werdegang der über die Grenzen der Stadt hinaus bekannten Walcker-Orgel einschließlich ihrer Res-taurierung, die er selbst anregte. Das Konzert am Sonntag war jedoch etwas Besonderes, präsentierte der Musiker doch im ersten Teil seines Auftritts die „Goldberg-Variationen“ von Johann Sebastian Bach.
Das außergewöhnlich vielschichtige Werk nimmt in der Musik den gleichen Stellenwert ein wie Beethovens Neunte oder im Bereich der bildenden Kunst die Mona Lisa oder die Sixtinische Kapelle. Obwohl Hell ganz bewusst dafür eintritt, das Werk nicht auf intellektueller, sondern auf rein emotio-naler Ebene zu genießen und zu begreifen, lieferte der Musiker im Anschluss an die Begrüßung durch Pfarrer Rainer Gremmels eine kurze Einführung in die Art der Komposition einiger der Variationen, von denen in etwa jedes dritte Stück als Kanon konzipiert wurde.
Die Verknüpfung dieser Bestandteile macht jeweils die Fülle und Kunstfertigkeit der Variationen aus. Die begeisternde Interpretation des Werkes im Anschluss, bei dem der Musiker auf sämtliche Wieder-holungen verzichtete und das ursprünglich 90-minütige Werk damit auf die Hälfte der Zeit kompri-mierte, machte deutlich, dass es müßig ist, gute Musik zu analysieren oder zu sezieren.
Vielmehr tat der Zuhörer gut daran, die Musikwissenschaft außen vor und sich von der Musik mit-tragen zu lassen, das Werk eben nicht auf einer akademischen, sondern auf emotionaler Ebene zu erfassen. So intensiv und ausführlich man die „Goldberg-Variationen auch analysieren kann – Felix Hell betonte in seiner Einführung, dass er mehrere Stunden über den Aufbau, Kompositionstechniken oder vieles andere, was dessen Struktur angeht, referieren könne – wird man ihm nur durch den emotio-nalen, gefühlsbetonten Zugang wirklich gerecht.
Dass selbst Bach sein Werk nicht zu verbissen gesehen hat, wird zum Beispiel durch die lockere, teils ironische Verwendung diverser zeitgenössischer Volksmusik-Stücke in den Goldberg-Variationen deutlich. Trotz des hohen Anspruchs seines Werkes weiß der Komponist auch die Wirkung dieser einfachen Melodien zu schätzen.
Im zweiten Teil des Abends war Johann Sebastian Bach ebenfalls allgegenwärtig, denn Hell verstand diese Konzerthälfte als Tribut an den großen Komponisten. Während die „Goldberg-Variationen“ nicht für die Orgel, sondern für das Cembalo geschrieben wurden, handelte es sich bei den Werken im zwei-ten Konzertteil ausschließlich um originale Orgel-Kompositionen.
„Präludium und Fuge über B-A-C-H“
Zu Beginn brachte Felix Hell die „Fantasie und Fuge g-Moll“ von Bach zu Gehör, ein dramatisches, kraftvolles Werk, das durch getragene, filigrane und dezente Passagen unterbrochen wird, sowie das kurze Orgel-Choralvorspiel „Wenn wir in höchsten Nöthen sein“ zu Gehör. Den offiziellen Abschluss des Konzertes bildete schließlich Franz Liszts „Präludium und Fuge über B-A-C-H“, das ebenfalls mit dramatischen und dunklen Passagen aufwartet. Als Zugabe spielte Felix Hell schließlich noch eine Toccata des französischen Komponisten und Organisten Charles-Marie Widor.
Nach dem Konzert nahm sich Hell viel Zeit für die rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörer in der Christus-kirche und signierte CDs, darunter auch das in Lüdenscheid auf der Walcker-Orgel aufgenommene Werk „Poetic Visions“.