Ein sonnenverbrannter lachender Jugendlicher in Badehose mit einem Fußball in der Hand, irgendwo an einem Strand, im Hinter-
grund das Meer. Dieses Bild auf dem Wohnzimmertisch fiel mir beim Besuch eines Gemeindemitglieds ins Auge. „Ist das Ihr Sohn?“, fragte ich. „Nein, das ist mein Neffe. Der Sohn meiner Schwester“, kam zur Antwort und dann begann die Frau zu weinen: „Meine Schwester lebt noch in Russland und der Junge ist gerade 18 geworden. Man hat ihn gezwungen zum Militär zu gehen und in die Ukraine geschickt, um dort zu kämpfen. Obwohl er das gar nicht will und er nicht weiß, was er da soll. Ich bete jeden Tag für ihn. Bitte, Herr Pfarrer, beten Sie auch für unsern Alexander.“ Und auf einmal bekommen die auf der anderen Seite der Front ein Gesicht und einen Namen. Und aus fremden Feinden werden Menschen wie du und ich: mit Tanten und Müttern und Geschwistern, die um sie bangen und für sie beten. Und einem Pfarrer, der das auch tut. Für die Soldatenjungs auf beiden Seiten der Front. Die wohl alle lieber mit ihren Freunden am Strand Fußball spielen würden. Wenn Jesus sagt: „Liebet eure Feinde und betet für sie!“ (Mt 5,44), sprengt er damit das Konzept von Freund und Feind. Etwas, das unsere Welt braucht, im Großen wie im Kleinen. Lasst uns die Hände falten für unsere Freunde und Feinde. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Sebastian Schultz, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Christuskirche