Im Schwimmbad hatte ich ein einschneidendes Erlebnis. Zwei Mädchen wollten vom Beckenrand ins Wasser springen. Ich hörte, als ich auf sie zuschwamm, wie die eine zur anderen sagte: „Lass erst die Oma vorbei“.
Mit Oma meinte sie mich. Ich bin also alt, im Herbst meiner Lebenszeit.
Es ist ein altbekanntes Dilemma: Wir wollen möglichst lange leben, aber nicht alt sein. Dabei ist Altern etwas ganz Normales. Seit ich im Ruhestand bin, empfinde ich es als großes Vorrecht, nicht mehr unter der Kandare der Pflicht zu sein.
Aber ich merke auch die Einschränkungen. Ich kann noch etwas lernen, nur eben langsamer. Früher habe ich mehrere Dinge gleichzeitig erledigen können. Die Möglichkeit von Multitasking habe ich aufgegeben. Nicht schweren Herzens. Ich genieße es Zeit zu haben, um mich auf das, was ich tue, ganz zu konzentrieren. Gott hetzt uns nicht unbarmherzig weiter. Zum Altern gehört das Loslassen. Und ich freue mich, dass ich darauf vertrauen kann, dass Gott mich liebt – nicht das, was ich leiste. So kann ich gelassen beten: „Herr, segne unser Tun und Lassen.“
Trotz der Schattenseiten des Alters kommen viele Menschen, solange sie halbwegs gesund sind, recht gut damit zurecht.
Gesundheit ist ein kostbares Gut. Aber Gesundheit ist eine widerrufliche Gabe. Sie ist nicht selbstverständlich. Ich darf dankbar sein für jeden Tag, der arm ist an Krankheit und reich an Gestaltung. Dankbarkeit ist die Nahrung für ein heiteres Gemüt. Wer nur in den Abgrund sieht, wird hinuntergezogen. Dankbarkeit vertreibt dunkle Gedanken. Auch der Herbst hat schöne Tage.
Geht mein Lebensweg bergab oder bergauf? Das hängt davon ab, was ich für ein Ziel habe – die Grube auf dem Friedhof oder den Platz im Himmel. Wenn meine Zukunft der Himmel ist, dann geht der Weg auf jeden Fall bergauf.
Bärbel Wilde
Pfarrerin, Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg